Heit gäits stoppele
Es war vor Kirchweih, also um die Zeit, wo Matthäus Namenstag hat, deshalb heißt es in Ober-Roden „Mattes läit die Kerb“. Das heißt, der Sonntag nach Matthäus ist in Ober-Roden immer „die Kerbsunntoag“. Samstags davor bekamen die Schulkinder ihre Herbstzeugnisse und sieben Wochen Ferien.
Aber nicht wegen der Zeugnisse oder wegen der Kerb gab’s die sogenannten großen Ferien, sondern am Kerbdienstag ging’s, das war ungeschriebenes Gesetz, zum Kartoffelausmachen. So gingen alle Frauen, die Kinder hatten und nicht berufstätig waren, zu den Bauern Kartoffelausmachen. Das geschah von Hand mit einem „Hooge“ oder „Koarscht“, mit dem jeder einzelne Kartoffelbusch ausgeharkt werden mußte. Sie verdienten sich so ihre Winterkartoffeln oder 5,00 RM am Tage, soviel war ein Zentner Kartoffel wert. Da Kartoffeln in der Großfamilie die Hauptnahrung war, kellerten die meisten Familien 30 bis 40 Zentner für den Winter ein oder bis es wieder neue Kartoffeln gab.
Zum Ausmachen ging es früh um 8.00 Uhr los. Jeder hatte sein „Koarscht uffem Buckel“ mit leeren Säcken oder eine „Moahne“ daran. Hing dann gegen 10.00 Uhr der Nebel weg, sah man überall im Kartoffelfeld an verschiedenen Äckern 6 – 10 Frauen und Männer stehen, die fleißig Kartoffeln ausharkten.
Als es 12.00 Uhr läutete, kam die Bauersfrau mit dem Essen. Dies hatte sie in einer Moahne mit Hilfe eines Kringen auf dem Kopf ins Feld gebracht. Meistens war es eine gute Erbsen-, Bohnen- oder Linsensuppe. Dazu gab es ein Stück Butter- oder Marmeladenbrot. Wenn’s gut ging, waren auch ein paar Brocken Speck in der Suppe.
Nach dem Essen ging’s dann ans Kartoffelauflesen und zwar in drei Sorten, die dicken für den Verkauf in der Stadt, die Mittleren zum Eigenverbrauch und die kleinen für Futterkartoffeln. Diese kleinen Kartoffeln aufzulesen, war die Kinderarbeit. Dies war alles so bis gegen 16.00 Uhr fertig, es wurde Kaffee getrunken und gegen 18.00 Uhr gings nach Hause.
Daß am Abend jeder sein Kreuz spürte, braucht man wohl kaum zu erwähnen. „Meu Rick-, meu Kreuz-, meu Oarschgelenk, alles minoanner hott die Grenk“ Dies alles ging so drei bis vier Wochen, bis die letzten Kartoffeln aus waren. Und nun begann das „Stoppele“, d.h. man durfte mit einem Säckchen oder Korb über die abgeernteten Äcker laufen und die herumliegenden Kartoffeln einsammeln. Für Familien, die keine eigenen Äcker, dafür aber 5-6 hungrige Mäuler hatten, war das sehr wichtig. Wenn es auch nur 2-3 Zentner Kartoffeln waren, man konnte damit ein Schweinchen oder Ziegen füttern. Die Ziegen waren die „Orme Leits Kieh“ und Leute, die sich auf solche Weise über Wasser hielten, nannte man „Gaasebauern“. Aber auch sie hatten jedes Jahr ein Schlachtfest. Wenn das Schweinchen einigermaßen fett war, wurde noch eine Ziege dazu geschlachtet und beides verwurstelt. An solchem Schlachtfest hatte natürlich die ganze Verwandtschaft teil, alle bekamen eine Kanne Wurstsuppe, eine große Wurst und für jedes Kind „e kloo Wärschtche“, dies hat alles ganz schön über die Zeit geholfen.
Ähnlich, und das fiel in die selbe Zeit, war es mit den Äpfeln oder nach der Kornernte mit dem Ährenlesen. Man streifte über die Äcker und las jede einzelne Ähre auf, die zu einem Strauß gebündelt, stolz ach Hause getragen wurde. Wenn beim Ährenlesen nur soviel Korn für 5-6 Laib Brot herauskamen, sie halfen, hungrige Mäuler zu stopfen, und vielen klingen die Worte noch heute im Ohr: „heit gäits stoppele“.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimat- und Geschichtsverein Rödermark sowie der Stadt Rödermark.
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